Klinische Neuropsychologie – Anwendungsgebiete, Wirksamkeit, Ziele
Nahezu alles, was unser Menschsein ausmacht, wird durch das Gehirn gesteuert. Unser Denken, Empfinden und Handeln findet seine biologischen Grund­lagen in den weit verzweigten Netzwerken unseres Denkorgans. Sind Gehirn­funktionen durch eine Erkrankung oder unfall­bedingte Schädigung beeinträchtigt, sind die damit einher­gehenden Verän­derungen für den Betroffenen meist dramatisch. In den meisten Fällen sind es nicht nur die geistigen Funktions­einbußen, sondern auch ein emotionales Ungleich­gewicht und Verän­derungen der Persön­lichkeit, die zu einem verän­derten Erleben und Verhalten führen. Die klinische Neuro­psychologie beschäftigt sich mit der Diagnostik und Behandlung solcher hirn­organischen neuro­psycho­logischen Störungen.
Ursachen neuropsychologischer Störungen
Häufige Ursachen neuropsychologischer Störungen sind Schlag­anfälle, Gehirn­blutungen, Schädel-Hirntraumata, Gehirn­tumore und entzünd­liche Erkran­kungen des Gehirns. Regel­mäßig lassen sich neuro­psychologische Störungen auch nach Sauerstoff­mangel, Vergiftungen oder systemischen Erkran­kungen beobachten. Bei neuro­degenerativen Erkrankungen des Gehirns, z.B. der Alzheimer Erkrankung, sind kognitive Funktions­störungen frühe und prominente Anzeichen einer krank­haften Entwicklung.
Was leistet eine neuropsychologische Diagnostik?
Dem Beginn einer Behandlung geht grundsätzlich eine ausführliche diagnostische Untersuchung voraus. Denn erst eine detaillierte Analyse der kognitiven Funktionen ermöglicht ein umfassendes Störungs­verständnis. Dazu gehört nicht nur die Erkenntnis hinsichtlich bestehender Funktions­defizite. Es geht auch darum, erhaltene Ressourcen und Potenziale zu identifizieren. Im Rahmen hirnorganischer Erkran­kungen sind nicht nur kognitive Verän­derungen beobachtbar. Es treten auch regel­mäßig psychische Veränderungen und Verhaltens­störungen auf, die ebenfalls im Rahmen einer neuro­psycholo­gischen Untersuchung erfasst werden. Anhand des kognitiven und psychischen Profils wird ein individuell auf den Patienten abgestimmter Behandlungsplan erstellt.
Behandlungsansätze
In den meisten Fällen sind Funktionsstörungen des Gehirns durch spezielle neuro­psycho­logische Therapie­methoden effizient behandelbar. Die Grundlage solcher Behandlungs­ansätze basieren auf der wesent­lichen Erkenntnis neuro­wissenschaft­licher Forschung, dass das Gehirn keineswegs mit dem Erwachsenen­alter ausgereift, sondern bis ins hohe Lebens­alter formbar ist. Es besteht nämlich nicht aus einer Ansammlung fest verdrahteter Nervenzellen, sondern es bildet ein dynamisches Geflecht, das sich durch unsere alltäglichen Erfahrungen und geistigen Aktivi­täten kontinu­ierlich verändert. In bestimmten Hirnarealen, z.B. im Hippocampus, einer Region, die insbesondere an der Gedächtnis­bildung beteiligt ist, können sogar neue Nervenzellen entstehen. Diese Plastizität ist durch Erkrankungen des Gehirns oder im hohen Lebens­alter natürlich begrenzt; dennoch können, durch ein spezifisch auf die geschädigten Bereiche ausge­richtetes Training, spürbare Verbesserungen erreicht werden.
Hier setzt auch die kognitive Therapie zur Behandlung von emotionalen Störungen an. Alternative Denkansätze, neue Erfahrungen, neue soziale Beziehungs­muster, wie sie durch die Therapie angestoßen werden, verändern nachhaltig die Gehirn­strukturen, die unsere psychische Gesundheit und unser Wohl­befinden steuern.
Neben solchen – auf eine Reorganisation des Gehirns ausgerichteten Therapie­ansätzen – kommen auch kompensa­torische Verfahren zur Anwendung. Diese zielen darauf ab, einen möglichst guten Umgang mit den Folgen der Erkrankung zu erlernen und Einschrän­kungen mittels interner oder externer Strategien auszugleichen. Interne Strategien setzen an der Person selbst an, z.B. durch Einstellungs­veränderungen oder durch Selbst­instruktionen. Externe Strategien hingegen beziehen sich auf die effiziente Nutzung äußerer Hilfsmittel, wie z.B. einem Gedächtnis­tagebuch oder einer Strukturierungs­hilfe für den Tagesablauf.
Ziele der neuropsychologischen Behandlung
Jeder Patient hat persönliche Ziele und Erwartungen an eine Therapie. Diese werden zu Beginn der Behandlung er- und bearbeitet und deren Ziel­annäherung im Therapie­prozess stetig geprüft.
Neben diesen persönlichen Zielen orientiert sich die Behandlung an Zielen, die sich für jeden Betroffenen aus den krankheits­bedingten Belastungen und Verän­derungen ergeben. Dabei geht es um das Erreichen eines selbst bestimmten, unabhängigen Lebens, das vom Patienten als erfüllt und sinnstiftend erlebt wird.
Daher orientiert sich die neuropsychologische Therapie immer an den realen Lebensbezügen des Patienten, seiner Biografie und seinen Werten.